Weg zur Aussöhnung von Irak

11 März 2021
Louis Raphaël Sako, Erzbischof von Bagdad, einer der Referenten des Kongresses, stellte die gleichgültige Welt an die Seite der durch den Islamischen Staat verfolgten Menschen.

Krieg, Blutvergießen, Verheerung und Zerstörung. In Irak wurde Gewalt, Tod und Furcht für lange Jahre Teil des Alltags. In 2003 haben US-Amerikanische Kräfte das Regime von Saddam Hussein gestürzt. Im Machtvakuum nach dem Tod des Diktators haben sich mehrere extremistische und wegen ihrer Terroranschläge berüchtigten sunnitischen Organisationen vereint und den Islamischen Staat von Irak proklamiert. Mit der Zeit haben sich ihre Streitkräfte auch dem Bürgerkrieg in Syrien angeschlossen, und in erster Linie in den Gebieten mit sunnitischer Mehrheit ein Kalifat ins Leben gerufen und den Namen Islamischer Staat (ISIS) aufgenommen. Aus den zerrütteten Armeen der Länder der Region haben sich Soldaten in Massen den jihadistischen Kräften angeschlossen. Über ihre gnadenlosen Abrechnungen haben sie der Welt in Videobotschaften berichtet, die für eine ganze Weile mit kalter Gleichgültigkeit dem Gemetzel von Unschuldigen, Christen und Schiiten, und der Schändung und Verstümmelung von Frauen und Kindern zugeschaut hat. Aus den Berichten über die Region hat sich herausgestellt, dass der ISIS auch die Frieden ersehnenden sunnitischen Araber nicht geschont hatte.

Es ist nicht nur das Erbe der Christen, sondern der ganzen Welt verheert worden

In so einer Situation wurde im Januar 2013 Louis Raphaël Sako zum Erzbischof von Bagdad und zum chaldäisch-katholischen Patriarchen ernannt. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass er die Leitung der Kirche in der schwierigsten Periode der Geschichte der chaldäisch-katholischen Kirche übernommen hat. Als Erzbischof dringt er seit Jahren nach einem Dialog unter den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, Behörden und der Regierung.

Auch zur Zeit der Verheerung durch den Islamischen Staat erhob er mutig und entschlossen seine Stimme. Mit seinen erschütternden Hilferufen hat er die Aufmerksamkeit der internationalen christlichen Gemeinschaft auf die irakischen und syrischen Ereignisse gerichtet. Unter anderem darauf, dass vor den Gewalttaten der sunnitischen extremistischen Streitkräfte die Hälfte der irakischen katholischen Gemeinschaft von einer Million von seinem Zuhause fliehen musste. Hunderttausende haben auch Irak verlassen. Sie drängelten sich in Flüchtlingslager oder versuchten, in der Hoffnung für ein neues, sicheres Leben, nach Europa zu kommen.

Louis Raphaël Sako sagte in einer seinen Aussagen Folgendes:

„Der fundamentalistische Islam will alles islamisieren. Dazu gibt es noch die Korruption. Ich habe schon früher gesagt, dass diejenigen, die sich als gnädig oder religiös zeigen, vielleicht gar nicht glauben. Der Glaube ist nur ein gutes Argument, ihre Pläne zu verwirklichen, darum reden sie von Religion.“

Der Erzbischof hat sich in seinen erläuternden und Hilfe rufenden Aussagen mehrmals an die Welt gewendet, damit die irakische Gemeinschaft erhalten bleiben kann. Dank seinen Bemühungen haben ihnen mehrere Länder – darunter auch Ungarn – finanzielle Hilfe geboten. Man hat für sie in Frankreich, Lyon, einen Friedensmarsch gehalten, der in ihnen die Hoffnung erweckt hat.

„Die friedlichen, unschuldigen Christen werden verfolgt. Das ist äußerst skandalös. Es muss sich die ganze Welt einsetzen, damit sie diesen Taten Schluss machen.“ – erklärte der Patriarch zur Zeit der schwersten Bluttaten. „Wir sorgen uns auch um unser Erbe: in Mosul hat man Kirchen aus dem 5. und 10. Jahrhundert angezündet und ruiniert. Es ist alles aus. Wenn eine moderne Kirche gesprengt wird, können wir eine neue bauen, aber das historische Erbe können wir nicht wiederherstellen, obwohl es nicht nur den Christen, nicht nur Irak, sondern der ganzen Welt gehört. Jeder muss etwas tun statt des gleichgültigen Wartens.“

„Diejenigen sind ungläubig, die uns verfolgen“

Der Erzbischof von Bagdad hat bei seinem Besuch in Ungarn in 2017 bei seinem Interview mit Magyar Kurír darüber gesprochen, welche große Aufgabe der christlichen Kirche auch als verfolgter Gemeinschaft zugeteilt wird, die Situation in Irak zu normalisieren.

„Ich selbst bin mehrmals in eine muslimische Siedlung in der Nähe von Mosul gegangen, um 4000 muslimischen Familien zu helfen. Wir haben ihnen Lebensmittel, Medikamente gebracht und ihnen dabei gesagt: wir sind Christen, kommen aus Bagdad, aus 400 km Entfernung, weil wir Ihnen zur Seite stehen, weil wir Brüder sind, wir sind keine Ungläubigen. Die Ungläubigen sind diejenigen, die uns verfolgt haben und auch ihnen Böses angetan haben. Es ist wichtig zu zeigen, dass wir Christen gut sind und friedlich. Wir dürfen uns nicht fürchten: wenn wir über die Wahrheit sprechen, geben wir ein kraftvolles Zeugnis unseres Glaubens und auch andere schauen uns mit Respekt an. Die moderaten Muslime äußern sich von Zeit zu Zeit, aber sie selbst haben Angst, es gibt nur wenige, die ihre Stimme stärker erheben. Doch die muslimische Welt muss auf diese Herausforderung antworten, sie haben nur dann eine Zukunft, wenn sie mit anderen einen Dialog führen. Eine andere wichtige Frage für den Islam ist es, ob er sich modernisieren kann. Die religiöse Botschaft muss an die Menschen von jedem Zeitalter gerichtet sein. Sie müssen die Texte auf eine neue Weise verstehen, wie wir Christen es tun. Zur Zeit von Mohamed gab es sehr viele Schwierigkeiten, Krieg, es herrschte eine andere Mentalität; seitdem sind 1400 Jahre vergangen, die Welt hat sich verändert, durch die Mittel der Massenkommunikation ist sie wie ein kleines Dorf geworden. An dieser Änderung muss viel gearbeitet werden, und leider sehe ich, dass der Westen diese besser ausnutzt, aber ihnen hilft er nicht dabei, sich zu entwickeln.

Auch Rom hat auf den Hilferuf von Irak reagiert. Papst Franziskus hat in 2018 Sako zum Bischof ernannt. Dies war eine Botschaft für Irak und die dort Lebenden. Der Patriarch berichtete davon, dass ihm Moslime und Christen zugleich zu seiner Ernennung gratuliert haben. Er hat den Eindruck, dass diese Geste seitens der Universalkirche und des Heiligen Stuhls eine Unterstützung bedeutet: sie gab Kraft, in die Richtung zur Aussöhnung von Irak weiterzuschreiten.

Mit einer internationalen Zusammenarbeit haben die Streitkräfte die durch den Islamischen Staat besetzten irakischen und syrischen Städte und Dörfer eingenommen, und die letzten kämpferischen Gruppen der Terrororganisation haben sich in die Wüsten von Syrien zurückgezogen.

Hoffnung in die Hoffnungslosigkeit

In Irak sind die Waffen still. Mit vereinten Kräften vieler Länder – darunter auch von Ungarn – läuft der Neuaufbau des Landes. Die von Christen und Schiiten bewohnten Gebiete von Irak haben am meisten unter der Verheerung der letzten Jahre gelitten. In den Gebieten zwischen Erbil und Mosul haben größtenteils diese zwei Gemeinschaften gelebt, der Islamische Staat hat hier alles methodisch vernichtet. Sie haben die Menschen verjagt, hingerichtet, wenn jemand nicht fliehen konnte, wurde er ständig von den Streitkräften belästigt. In Mosul haben mehrere Familienväter davon berichtet, dass sie ihre Kinder, ihre Frauen zwei Jahre lang nicht mal auf die Straße gelassen haben. Sie befürchteten, dass sie entführt werden würden. Die sechs-siebenjährige wurden von ISIS methodisch gesammelt, damit sie aus ihnen selbstmörderische Krieger erziehen. Der Krieg hat unzählige Opfer erfordert, nicht nur Tote…Millionen von gebrochenen, hoffnungslosen Menschen zeugten vom grausamen Blutvergießen. Wer die Gräuel der letzten Jahre überlebt hat, blickt mit Misstrauen auf die staatlichen Behörden, denn die Regierungen von Irak haben es nicht geschafft, zu sie beschützen. Sie suchen nach Halt und Hoffnung. Louis Raphaël Sako und die christliche Gemeinschaft arbeiten enorm viel dafür, dass die Menschen in ihr neu erbautes Zuhause zurückkehren können und ein neues, ruhigeres Leben beginnen können.

Der Erzbischof von Bagdad wird auch Gast des IEK sein.

Quelle: IEK